Besuch bei Creek, Harbeth und Michell

Linksverkehr und andere englische Spezialitäten… In der zweiten September-Woche hatte ich für dieses Jahr einen Besuch bei Creek Audio, Harbeth und Michell eingeplant, alles Unternehmen, die in der Umgebung von London angesiedelt sind. Als ich am Samstagmittag in Heathrow ankam, hatte ich die wahnsinnige Idee, sofort mit einem Mietwagen nach London hinein zu fahren, um die Tate-Gallerie an der Themse zu besuchen. Abends war ich zur Hochzeitsparty von Michael Creeks Sohn Luke eingeladen und hatte mir für den Nachmittag etwas Zeit für diesen Trip ausgerechnet. Leider hatte ich mich dabei total verrechnet.

Erstens war es 20 Jahre her, dass ich mich in den britischen Linksverkehr gestürzt hatte und zweitens ist die Strecke von Heathrow nach Central London doch weiter als man denkt. Als ich schließlich Schweiß gebadet, aber unbeschädigt dort angekommen war, musste ich feststellen, dass mir kaum noch Zeit blieb, die alte „Tate“ anzuschauen. Dafür nahm ich ein fantastisches britisches Dinner in einem herrlichen Pub dort an der Themse in Form von Fish & Chips zu mir.

Abends durfte ich mit der Familie von Michael Creek in einem Zelt in seinem Garten an der Hochzeitsfeier teilnehmen. Der Hochzeitskuchen bestand aus englischen Käsesorten und als Hochzeitskutsche diente der alte MG von Michael Creeks Bruder. Das Paar war sehr hübsch – besonders natürlich die Braut. Und typisch für Hochzeitspartys tanzten Jungvolk und alte Knacker wie ich am Schluss fröhlich durcheinander!

Am nächsten Tag zeigte mir Michael die Landschaft in der Umgebung von Hemel Hempstead, in der sein Office liegt und wo er sehr ländlich wohnt, im Nordwesten von London. Die Engländer sind ja bekannt dafür, dass Sie Ihre Traditionen (Heritage) pflegen. Das tun sie auch in Ihren Dörfern, in denen man sehr viele alte Fachwerkhäuser sieht, die oft aus dem 17ten Jahrhundert stammen oder noch älter sind. Kirchen sehen oft aus wie Burgen, da der Kirchturm an quadratische Wehrtürme aus dem Mittelalter erinnert. Die Landstraßen sind oft so sehr von dichter Vegetation eingeschlossen (es regnet halt viel), dass man ständig durch grüne Tunnel fährt, die aber scheinbar alle für Mini-Cooper gebaut sind, so eng sind sie!

Am Montagvormittag besuchte ich dann noch einmal die „Modern Tate“ (schlau: ich nahm den Zug!) und sah mir eine sehr schöne Ausstellung von dem russischen Maler Malevich (from Cubism and Futurism to Suprematism) an. Hier waren sehr schöne Werke zu sehen, die mit ihrer geometrischen Komposition, der Reduktion auf einfache Formen und Farbigkeit bis heute unsere Design-Ästhetik mitbestimmen. Montagnachmittag war ich dann im Office von Creek, wo mich Michael (Mastermind) und Giles (Organisation) begrüßten. Luke war ja auf Hochzeitsreise. Hier werden Produkte entwickelt, der Versand organisiert und der weltweite Support geleistet. Und von hier aus wird die Produktion in Fernost gesteuert, wo drei weitere Mitarbeiter für die Qualitätssicherung und die Produktion zuständig sind. Außerdem beschäftigt Creek international tätige Spezialisten, die für bestimmte Entwicklungs-Aufgaben eingesetzt werden.
Michael zeigte mir den neuen Creek Evolution 100A Verstärker, der mit seinem riesigen Trafo und einer speziellen Transistor-Schaltung in der Endstufe einen viel versprechenden Eindruck machte. Abends zeigte mir Michael die wirklich wunderschöne Gegend dort mit uralten Pubs, Dörfern und Kanälen, auf denen aus alten Lastkähnen umgebaute Hausboote zu bestaunen sind und wo die alten Schleusen noch mit menschlicher Muskelkraft bedient werden.

Am Dienstag fuhr ich dann auf der M25 westlich von London nach Süden zu Harbeth. Deren Factory und Büro liegt in Lindfield, was zwischen London und Brighton zu finden ist. Hier wurde ich nach anstrengender Fahrt (mit drei Stunden Stau auf der M25) sehr freundlich von Alan Shaw (Chef) und Trevor (PR-Manager) empfangen und erst einmal wieder mental und moralisch mit Tee und Sandwich aufgebaut. (Wer sich hier über den Zustand der Straßen beschwert, sollte erst mal die Straßen in England sehen, dagegen ist hier alles vom Feinsten!)

Harbeth produziert dort in einem recht eng gewordenem Industriegebäude alle Lautsprecher tatsächlich selbst. Hier befinden sich auch die Büros und Messstationen, das Gehäuse- und Teile-Lager und natürlich gehen hier auch die Verpackung und der Versand über die Bühne. Das ganze Team besteht aus ca. 10 Leuten, die hier auf engem Raum konzentriert und fleißig Lautsprecher zusammen bauen, organisieren, planen und kommunizieren – der Laden brummt, das merkt man schnell.
Hier wurde mir die Herstellung der Radial®-Membran Lautsprecher gezeigt, wie Gehäuse und Frequenzweichen bestückt, Hoch- und Tieftöner gemessen und die Lautsprecher paarweise selektiert werden. Die Frequenzweichen werden normalerweise in einer anderen Factory gelötet, aber die starke Nachfrage nach der neuen SHL5PLUS machte extra Schichten in der eigenen Produktionsstätte erforderlich. Außerdem konnte Alan Shaw mir die Kladden zeigen, in denen alle (!) Lautsprecher, die Harbeth jemals gebaut hat, mit ihren Daten protokolliert sind.

Dann wurde es richtig spannend, denn Alan Shaw fuhr mit mir zu seinem Design Center, seinem Atelier, wie ich es nenne, wo er die Lautsprecher entwickelt. Nach ziemlich langer Fahrt über die schönen (aber engen) englischen Landstraßen hielten wir dann, umgeben von Wiesen, Wäldern und Feldern, vor einer mehrhundertjährigen Scheune.  Innen ist der große Raum in der Mitte akustisch total bedämpft. Hier hat sich Alan Shaw einen Messplatz eingerichtet, wo der Lautsprecher auf einem drehbaren Podest in der Raummitte steht und mit einem Richtmikrofon der Frequenzgang in verschiedenen Winkeln aufgezeichnet werden kann. Messplatz, Computer zur Frequenzweichenberechnung, ein Hörplatz mit verschiedenen HiFi Geräten (meist dient eine alte Quad 405 Endstufe als Endverstärker) und diverse Vergleichslautsprecher helfen hier Alan Shaw Lautsprecher zu entwickeln.

Diese Arbeit findet stets unter den kritischen Augen der Konterfeis der Queen und von Winston Churchill statt (die Engländer sind alle verliebt in ihre glorreiche Vergangenheit).  Als Beispiel zeigte mir Alan, wie er zwei unterschiedliche Derivate des alten LS3/5 Monitors durchmessen kann und wie unterschiedlich die Messkurven sich hier darstellten. Das Ergebnis war allerdings eher dazu geneigt einen alten Mythos vom Podest herunter zu holen! Hier probiert und forscht Alan Shaw monatelang an seinen Lautsprecher-Entwicklungen, geht förmlich in Klausur und niemand sonst darf währenddessen diesen Raum betreten. Das Harbeth Design Center ist ein sehr urwüchsiger, sehr individueller Entwicklungsraum, in dem sich die Entwicklungsgeschichte der Lautsprechertechnik mit moderner Forschung vereint.
Angetrieben von dem durch die BBC-Tradition geprägten Geist und das sehr konsequente logische und pragmatische Denken von Alan Shaw entsteht hier Einzigartiges: Lautsprecher, die aus dieser Entwicklungshistorie herausragen, alles Gewesene übertreffen und die unter Einhaltung enger Qualitäts-Kriterien in großen Stückzahlen bei Harbeth per Hand produziert werden können.  Der neue Harbeth Super HL5PLUS Lautsprecher ist ein typisches Beispiel dafür: Seit mehr als 25 Jahren Produktion ist er aktuell zu seiner jetzigen Form, die alle Vorgänger in ihrer Klangqualität und Genauigkeit übertrifft, weiter entwickelt. Abends wurde ich dann in einen sehr zünftigen Pub eingeladen und durfte in einem urbritischen Himmelbett übernachten.

Am nächsten Tag fuhr ich dann wieder ganz in den Norden von London nach Hertfordshire, wo mich Julie und Steve von Michell Engineering empfingen, die mich mit dem „Starter“ Plattenspieler beliefern. Hier fand ich eine 40 Jahre alte Manufaktur vor, die in ihrer unprätentiösen und traditionellen Art britischer nicht sein kann. Das meiste Personal arbeitet hier seit Dekaden und ist mit seinen Aufgaben förmlich verwachsen. Der jüngste Mitarbeiter ist der Sohn der Familie und die Maschinen, die hier eingesetzt werden, sehen zwar teilweise museumsreif aus, arbeiten aber immer noch mit hoher Präzision.
Der Jahrzehnte währende Erfolg der Michell Plattenspieler, die weltweit hohes Ansehen genießen, bestätigt die traditionelle Fertigung hier, deren Qualität sicher auch der außergewöhnlich langen Erfahrung der Mitarbeiter geschuldet ist.

Dies war die letzte Station meines diesjährigen Englandtrips, von dem ich mit einer Vielzahl sehr interessanter und außergewöhnlicher Eindrücke zurückkam. Die nachfolgenden Bilder können Ihnen hoffentlich einen kleinen Eindruck davon vermitteln.